Miteinander statt gegeneinander zum Wohl der Versicherten
Interview mit Prof. Dr. jur. Alexander Schraml Vorstandsmitglied und Vorstandssprecher - Kommunale Altenhilfe Bayern eG
Die Kommunale Altenhilfe Bayern ist einer der größten deutschen Verbände von kommunalen Pflegeeinrichtungen der Landkreise, Städte, Märkte und Gemeinden. Mit dem Ziel, die Gestaltungsmöglichkeiten der Kommunen bei der Altenhilfe im Interesse einer optimalen Daseinsvorsorge zu erhalten und zu erweitern, vertritt die KAB mit aktuell 23 Trägern, 70 Pflegeeinrichtungen, knapp 8.000 Betten und 7.200 Beschäftigten stellvertretend die Gesamtinteressen der kommunalen Pflegeeinrichtungen in Bayern.
Nach jedem Pflegeskandal werden öffentlich mehr Qualitätsprüfungen durch die Medizinischen Dienste gefordert. Auf der anderen Seite klagen die Heime über zu viele Kontrollen und Bürokratie im Alltag. Ihre Lösung?
In zwei Worten vielleicht: Gelassenheit und Klarheit. Mehr Gelassenheit in der Prüfungssituation vor Ort – von Seiten der Medizinischen Dienste und der Pflegeeinrichtungen. Es sind zwei Seiten, aber mit dem gleichen Ziel. Nämlich die Versorgungsqualität zu sichern und zu verbessern. Und mehr Klarheit in den Zuständigkeiten. Wir plädieren ausdrücklich dafür, bei Heimen mit einem Versorgungsvertrag alle Regelprüfungen ausschließlich bei den Medizinischen Diensten zu konzentrieren. Hier sollte die Heimaufsicht sich zurückziehen und nur bei akuten Missständen bzw. Skandalen mit der jeweiligen Bezirksregierung eingreifen.
Bis zu einer gesetzlichen Klärung, was kann man im Prüfalltag verbessern – außer mehr Gelassenheit?
Sehr viel an sehr vielen Details. Zum Beispiel ist die Möglichkeit, die jährliche Qualitätsprüfung bei guter Pflegequalität auszusetzen, noch nicht bei allen Heimen bekannt und sollte häufiger genutzt werden. Mehr Anerkennung für die gute Arbeit unserer Pflegekräfte und Pflegeleitungen in den Heimen – auch und gerade in der Prüfsituation – würde die Zusammenarbeit ebenfalls weiter verbessern. Und wenn bei einer Prüfung Defizite erkannt werden, darf nicht vergessen werden: Oft sind diese intern länger bekannt und die Qualitätsprüfung gibt der Geschäftsleitung den Anlass, diese jetzt auch mit dem nötigen Nachdruck in der Einrichtung mit der Pflegeleitung durchzusetzen.
„Auch der beste Prüfer kann das Spannungsfeld zwischen Beratung und Kontrolle nie ganz auflösen. Inhaltlich haben beide Funktionen einen anderen Auftrag – sind aber gleich wichtig. Entscheidend ist beim Prüfauftrag der Umgang miteinander: Gelassenheit und Kollegialität auf beiden Seiten. Es sind zwei Seiten, aber mit demselben Ziel – nämlich die Versorgungsqualität zu sichern und zu verbessern.“
Prof. Dr. jur. Alexander Schraml Vorstandsmitglied und Vorstandssprecher, Kommunale Altenhilfe Bayern eG
Doppelt prüft besser? Wie beurteilen Sie die teilweisen Doppelstrukturen von den Medizinischem Diensten und der regionalen Heimaufsicht in Deutschland?
Ein Ende der Doppelstrukturen ist überfällig. Die Heimaufsichten gab es schon immer, mit der Etablierung der Medizinischen Dienste als Körperschaft des öffentlichen Rechts in Deutschland hätten die Regelprüfungen bei diesen konzentriert werden sollen. Das wäre die logische Folge und Entbürokratisierung, aber auf die Umsetzung warten wir seit Jahrzehnten…
Lästige Pflicht oder Chance zur Verbesserung? Auf Augenhöhe oder von oben herab? Wie werden die Qualitätsprüfungen von den Pflegeeinrichtungen erlebt?
Auch der beste Prüfer kann das Spannungsfeld zwischen Beratung und Kontrolle nie ganz auflösen. Inhaltlich haben beide Funktionen einen anderen Auftrag – sind aber gleich wichtig. Entscheidend ist beim Prüfauftrag der Umgang miteinander, wie oben gesagt: Gelassenheit und Kollegialität auf beiden Seiten. Vielleicht hilft ein Vergleich: Wenn Sie in einer Routine-Verkehrskontrolle geraten, ist der Polizist gelassen – Sie aber nicht. Dabei wollen alle nur die Verkehrssicherheit verbessern. Aber fühlen Sie sich mit dem Polizisten auf Augenhöhe? Erst, wenn er sie beruhigend anspricht, sich kurz die Dokumente anschaut und sie freundlich nur darauf hinweist, bei Ihrem Auto den Luftdruck im Auge zu behalten. Danke, gute Fahrt und dann denken Sie: Das war toll!
So eine Regelprüfung ist das eine. Wie werden die Anlassprüfungen aufgrund von vermuteten Pflegedefiziten gesehen?
Bei der Feststellung von bewussten und gravierenden Pflegefehlern zählt nur das Wohl der Versicherten, nicht die Befindlichkeiten der Verantwortlichen in den Pflegeheimen! Hier muss die zuständige staatliche Behörde vom Medizinischen Dienst informiert werden, sofort eingreifen und auch für die sofortige Beseitigung der Mängel sowie die nachhaltige Umsetzung aller Maßnahmen oder im Extremfall die Schließung der Einrichtung allein verantwortlich sein.
Wie würden Sie den Satz fortführen: Ohne Qualitätsprüfungen durch den Medizinischen Dienst würde die Versorgung in den Pflegeeinrichtungen…
… nicht so gut sein, wie sie derzeit ist. Passend zum Schuljahr 2024/25 würde ich der Versorgungsqualität in den Pflegeheimen in Deutschland im Schnitt eine Note 2 geben. Wobei es neben Einserkandidaten ehrlich gesagt leider auch einige Einrichtungen gibt, die sich etwas mehr anstrengen müssten. Und zwar nicht nur bis zur nächsten Prüfung.
Wenn Sie für einen Tag Gesundheitsminister wären, was würden Sie noch heute beschließen?
Das würde ein voller Tag! Erstens statt der Länderkompetenz eine bundeseinheitliche Regelung zu ambulant betreute Wohngemeinschaften beschließen. Zweitens die Einführung einer verpflichtenden und beschlussfähigen Bund-Länder-Konferenz mit Verbandsvertretern zur laufenden Erhebung und Optimierung der Versorgungsqualität in allen Pflegeeinrichtungen. Drittens ein Gesetz zur verbindlichen Investitionsförderung für die Pflege durch die Bundesländer bzw. deren Kommunen.
Was würde das in Zahlen für die Pflegebedürftigen bedeuten?
Sehr viel, gerade bei den steigenden Kosten für die Pflegeheime. In denen liegt der Anteil der Investitionskosten an den Kosten insgesamt in der Spitze bei bis zu 1.000 Euro im Monat. Mit einer Investitionsförderung in Höhe von 60 Prozent würden die Kosten für jeden Pflegebedürftigen um bis zu 600 Euro pro Monat sinken können.
Noch müssen immer mehr Pflegeheime und Pflegedienste wegen Finanzproblemen schließen. Sollte die Versorgungsqualität in der Pflege gesetzlich als Teil der kommunalen Daseinsvorsorge verankert werden?
Das ist kein Soll, sondern ein Muss. So steht es im Grundsatz auch bereits im Gesetz. Alle Bundesländer können, wie es einige getan haben, gesetzlich weiter klarstellen, dass die Verantwortung in den Kreisen und Städten liegt und damit Aufgabe der Kommunen ist. Auch das Sozialgesetzbuch XII spricht da eine deutliche Sprache Versorgung in der Pflege ist Teil der Daseinsvorsorge und damit ein Recht der Bürger wie die Versorgung mit Wasser, Strom, Straßen und Schulen. Das ist vielen Kommunen aber nicht bewusst.
Abschließend eine persönliche Frage: Wie würden Sie ein gutes Pflegeheim für Ihre Eltern aussuchen?
Wohlfühlen ist fühlen: Wie geht die Pflegeleitung mit den Pflegekräften und den Bewohnern um? Wie offen und positiv reagieren die Bewohner auf die Pflegekräfte und auf mich als Besucher? Wie freundlich und lebendig ist der Umgang, wie riecht es, wie schmeckt es den Bewohnern, fallen Ihnen kleine Gesten und liebevolle Details auf? Fragen Sie die Bewohner und gerne auch mal nach einer Pflegedokumentation. Nehmen Sie die Eltern mit und hören Sie auf deren Bauchgefühl. Stimmt das mit dem Pflegenavigator im Internet und den letzten einsehbaren Prüfberichten überein, dann stimmt die Versorgungsqualität.
Vielen Dank für das Gespräch!