Behandlungsfehler: Patientensicherheit im Blick
Anspruch: Immer besser werden
Der Medizinische Dienst unterstützt Patientinnen und Patienten bei der Klärung eines Behandlungsfehlerverdachtes mit einem medizinischen Sachverständigengutachten.
Als Wolfgang Schmitt (Name von der Redaktion geändert) morgens beim Aufstehen mit dem rechten Sprunggelenk umknickt, kann er noch nicht ahnen, welche Folgen sich daraus entwickeln werden. Gut 15 Monate später hat er eine erhebliche Gehbehinderung und erhält Pflegegrad 1. Der Grund: Der erste behandelnde Arzt übersieht einen eindeutigen Knochenbruch und mehrere nachbehandelnde Ärzte reagieren zudem nicht angemessen auf die Symptome.
Erst drei Monate nach dem missglückten Aufstehen stellt eine Chirurgin den mittlerweile in Fehlstellung teilweise verheilten Außenknöchelbruch fest. Das Gutachten des Medizinischen Dienstes Bayern zeigt: Behandlungsfehler liegen vor.
Patientensicherheit stärken
Wolfgang Schmitt hat damit Gewissheit. „Diese Klarheit ist für viele Betroffene wichtig, um das Geschehene zu verarbeiten und zu entscheiden, ob eine Klage Sinn macht“, sagt Dr. Ingeborg Singer, Leiterin des Fachbereiches Medizinrecht beim Medizinischen Dienst Bayern. Jedes Jahr im Sommer veröffentlichen die Medizinischen Dienste die Vorjahreszahlen zu den abgeschlossenen Gutachten mit Behandlungsfehlerverdacht und legen auch offen, welche Behandlungsfehler Ursache für einen Schaden waren. Wichtig ist aber: „Die Zahlen der Medizinischen Dienste sind nicht repräsentativ und damit auch kein Maßstab für die Häufigkeit oder Seltenheit von Behandlungsfehlern und damit für die Patientensicherheit“, betont Dr. Singer. „Sie erlauben auch keine allgemeingültigen Rückschlüsse auf die Sicherheit in Krankenhäusern und Arztpraxen.“
Der Medizinische Dienst Bayern setzt sich seit vielen Jahren für mehr Transparenz und eine neue Sicherheitskultur ein, bei der Behandlungsfehler offengelegt, systematisch erfasst und ausgewertet werden. Insbesondere die sogenannten Never Events, also Ereignisse, die besonders schwerwiegende Folgen haben und gleichzeitig gut vermeidbar wären, könnten damit verhindert werden.
„Jeder Fehler muss im Sinne einer künftigen Fehlervermeidung betrachtet werden. Als Gemeinschaft der Medizinischen Dienste möchten wir weiterhin dazu beitragen, systematisches Lernen aus Fehlern zu erreichen.“
Dr. Ingeborg Singer, Leiterin des Fachbereiches Medizinrecht, Medizinischer Dienst Bayern
Erfreulich ist es daher für Dr. Ingeborg Singer, dass sich die Fehlerkultur über die vergangenen Jahre hinweg verändert hat: „Behandlungsfehler waren früher ein Tabu. Heute herrscht Einvernehmen darüber, dass auch Ärztinnen und Ärzte Fehler machen und man diese im Sinne der Patientensicherheit untersuchen muss. An dieser Entwicklung, die anfänglich als ‚Nestbeschmutzung‘ empfunden wurde, hatte auch die Gemeinschaft der Medizinischen Dienste einen Anteil.“
Gespräche mit Krankenkassen, Vorträge bei Selbsthilfegruppen, das Bayerische Forum für Patientensicherheit und die vom Medizinischen Dienst Bayern initiierte Tagung Medizinrecht leisteten wichtige Beiträge zur Akzeptanz der Gutachten.
Im Austausch bleiben
Die Leiterin des Fachbereiches ist daher froh, dass die Tagung Medizinrecht nach einer coronabedingten Pause 2023 wieder durchgeführt werden konnte. Mehr als 90 Expertinnen und Experten aus dem juristischen, ärztlichen, pflegerischen und kassenärztlichen Bereich aus ganz Deutschland tauschten sich intensiv aus. „In der Anfangszeit dieses Formates haben Medizinerinnen und Mediziner, Juristinnen und Juristen eine ganz unterschiedliche Sprache gesprochen“, erinnert sich Dr. Singer, „heute versteht man sich und wir haben eine Plattform für einen sehr guten Austausch.“
Was tun bei einem Behandlungsfehlerverdacht?
Die erste Anlaufstelle für gesetzlich Versicherte ist die Krankenkasse, die Versicherte bei der Aufklärung des Verdachts unterstützt. Die zuständige Krankenkasse kann den Medizinischen Dienst dann beauftragen, ein fachärztliches Gutachten zu erstellen, um den Verdacht zu prüfen – kostenfrei für Patientinnen und Patienten. Der Medizinische Dienst braucht für das Sachverständigengutachten sämtliche Behandlungsunterlagen. Damit die Krankenkasse Dokumente und Informationen anfordern kann, muss der Betroffene das ärztliche Personal von der Schweigepflicht entbinden. Das fertige Gutachten erhalten Versicherte direkt vom Medizinischen Dienst. Wenn ein Behandlungsfehler vorliegt, können sich die Versicherten mit ihrer Krankenkasse und gegebenenfalls einer Rechtsanwältin oder einem Rechtsanwalt für Medizinrecht beraten, wie sie bestenfalls weiter vorgehen sollten.